1970

Das Interesse an Politik blieb. Ich war immer noch links (wie meine Eltern, die immer SPD wählten), aber jetzt war mein Vorbild nicht mehr Willy Brandt, sondern Karl Marx und Mao Tsetung. Im Alter von 13 Jahren gründete ich an meiner Schule, der Ernst-Reuter-Schule in Frankfurt-Nordweststadt, die ROTE ZELLE SCHÜLERGRUPPE. Ich gab eine Zeitung heraus, die jetzt allerdings nicht mehr eine Auflage von 40 Stück hatte, wie die „Galaktische Zeitung“, sondern von 2000 Stück. Sie wurde jetzt auch richtig gedruckt, im Offset-Druckverfahren. Nachts schlichen wir uns heimlich mit einem linken Lehrer in die Schuldruckerei und druckten die Zeitung, was allerdings herauskam. Ich musste nach anderen Möglichkeiten suchen, um die Zeitung zu finanzieren. Ich ging zu linken Buchhandlungen wie der „Karl-Marx-Buchhandlung“ und dem „Libresso“ in Frankfurt, die mir Anzeigen gaben. Und ich fand noch eine andere Finanzierungsquelle: Ich bestellte beim Verlag für fremdsprachige Literatur in Peking Poster von Marx, Lenin und Mao sowie Bücher in deutscher Sprache wie die „Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung“, die Ausgewählten Werke von Mao oder das „Kommunistische Manifest“ von Marx und Engels. Die verkauften wir. Und – mit Einverständnis unserer Genossen in Peking – konnten wir das Geld verwenden, um die ROTE ZELLE zu finanzieren.
Fünf Ausgaben der von mir herausgegebenen und verfassten Zeitung ROTES BANNER finden Sie hier im Mao-Archiv: http://www.mao-projekt.de/BRD/HES/DA/Frankfurt_SMV_Rotes_Banner.shtml
Ich las damals jede Woche die „Peking Rundschau“, die es in deutscher Sprache gab, und nachts um 23 Uhr hörte ich „Radio Tirana“ aus Albanien mit revolutionären Nachrichten. Ich war Kommunist. Für die DDR oder die Sowjetunion hatten wir allerdings nichts übrig, das waren für uns Verräter am marxistisch-leninistischen Gedanken. Wir orientierten uns am China Mao Tsetungs. Von den Verbrechen und der Unterdrückung in diesem Land wussten wir nichts, wollten wohl auch nichts davon wissen. China war weit weg und Projektionsfläche für unsere Sehnsucht nach einer „gerechten“ Gesellschaft.
Mit 14 Jahren trat ich dann dem „Kommunistischen Jugendverband Deutschland“ (KJVD) bei, einer Jugendorganisation der KPD/ML. Frühmorgens stand ich auf und verkaufte vor den Toren großer Betriebe die „Rote Fahne“, das Zentralorgan der KPD/ML. Meine Abende verbrachte ich mit Sitzungen, meine Ferien und Wochenenden mit der Lektüre von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao. Ich hatte schon mit 15 Jahren hunderte Bücher dieser „Klassiker“ gelesen, einschließlich aller drei Bände des „Kapital“ von Karl Marx. Ich fasste diese Bücher zusammen, die Zusammenfassungen habe ich noch heute. So schrieb ich einige hundert Hefte voll mit Zusammenfassungen über „Das Kapital“, zu dem ich jede Menge Sekundärliteratur las.
Für Studenten gab ich als 15-jähriger Schulungen in Marxismus-Leninismus. Die wunderten sich nicht schlecht, als ein Schulungsleiter erschien, der gerade einmal 15 Jahre war – die Studenten waren ja zehn Jahre älter als ich.

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