Der Nonkonformismus, der mir im politischen Bereich oft viel Ärger eingebracht hatte, war nun eine gute Basis für das „Reich werden mit Immobilien“. Das war der Titel eines Buches, das ich 1999 veröffentlichte. Nachdem ich meine erste Immobilie gekauft und mich eingehend mit dem Thema Immobiliensteuern befasst hatte, begann ich, Artikel darüber in der WELT zu schreiben. Das Thema „Immobilien“ faszinierte mich zunehmend. Damals war allerdings in der WELT dafür wenig Platz. Nur einmal in der Woche wurde im hinteren Teil, sozusagen als Begleittext für die Immobilienanzeigen, eine halbe Seite über Immobilien berichtet. Damals war Deutschland auf dem Höhepunkt der Aktieneuphorie. Jeden Tag konnte man in der Zeitung lesen, Aktien seien die allein glückseligmachende Anlage. Auch unsere Zeitung, DIE WELT, berichtete jeden Tag auf vielen Seiten über Aktien, aber eben nur einmal wöchentlich auf einer halben Seite über „Immobilien“. Wieder einmal fand ich, dass es gut sei, sich gegen einen allgemein vorherrschenden Trend zu stellen. Ich ging zum Chefredakteur, Dr. Matthias Döpfner (heute ist er Vorstandsvorsitzender der Axel-Springer AG), und sagte: „Wir berichten jeden Tag fünf Seiten über Aktien und nur einmal in der Woche eine halbe Seite über Immobilien. Da stimmt die Proportion nicht.“ „Was schlagen Sie vor?“, fragte Döpfner. „Warum berichten wir nicht jeden Tag eine ganze Seite nur über Immobilien? Immerhin gibt es viel mehr Menschen in Deutschland, die Immobilien besitzen, als Aktionäre.“ Döpfner fand die Idee gut, fragte aber: „Sind Sie denn sicher, dass es täglich genug zu berichten gibt, um eine Seite zu füllen?“ Ich hatte keinen Zweifel: „Ich kann auch jeden Tag drei Seiten füllen, da müssen Sie mir nur genug Mitarbeiter für mein Ressort geben.“ Döpfner: „Drei Seiten sicher nicht. Aber wenn Sie zwei Wochen lang belegen, dass es mit einer Seite geht, dann starten wir.“ Das war die Geburt der täglichen Immobilienseite in der WELT, die ich als Ressortleiter Immobilien verantwortete. Auch nachdem ich ausgeschieden war, behielt DIE WELT diese Seite mehr als ein Jahrzehnt lang bei. Die Idee war offenbar nicht so schlecht. DIE WELT war damit die erste und einzige Tageszeitung in Europa, die dem Thema „Immobilien“ eine solche Bedeutung beimaß.
Jeden Tag konnte ich nun in der WELT über Immobilienthemen berichten. Ich hatte schon damals sehr gute Kontakte zum Bundesfinanzministerium. In dem Ministerium arbeitete man an der Einführung von neuen Paragrafen im Einkommensteuergesetz, mit denen Steuersparmodelle unmöglich gemacht werden sollten. Die Paragrafen 2b des Einkommensteuergesetzes und 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes waren extrem kompliziert. Selbst viele Steuerberater und Finanzbeamte konnten die Paragrafen nicht verstehen. Ich bekam von meinen Informanten im Finanzministerium schon die ersten sogenannten „Formulierungshilfen“ für das Gesetz, das sie auf Weisung des damaligen Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine vorbereiten mussten. Nicht alle Beamten waren mit dem Gesetz einverstanden – das viele Jahre später übrigens vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde. Ich veröffentlichte die streng vertraulichen Gesetzentwürfe auf der Website der WELT, die ich intensiver nutzte als die anderen Redakteure der Zeitung. Ich fand, dass im Internetzeitalter die gedruckte Zeitung und die Online-Ausgabe zusammenspielen mussten: In der Zeitung veröffentlichte ich Artikel über den Paragrafen, den ich plakativ „Fallenstellerparagraf“ nannte, weil er den Bürger in eine Steuerfalle lockte. Der Begriff prägte sich ein und bald wurde der Paragraf nur noch so bezeichnet, sogar in der Steuerfachliteratur kam der Begriff vor. Im Bundesfinanzministerium von Oskar Lafontaine war man gar nicht erfreut darüber, dass man die vertraulichen Entwürfe für das Gesetz in der Zeitung und im Wortlaut sogar im Internet lesen konnte. Ein Informant aus dem Ministerium spielte mir eine interne Anweisung zu, in dem alle Mitarbeiter des Ministeriums ausdrücklich aufgefordert wurden, dem WELT-Redakteur Zitelmann keine Informationen mehr zur Verfügung zu stellen.
Ich lernte in der Zeit, als ich das Immobilienressort der WELT verantwortete, die wichtigsten Unternehmen der deutschen Immobilienwirtschaft kennen, ihre Geschäftsmodelle und die Menschen, die diese Unternehmen führten.